Keine Ahnung für alle!

Author: Tibor Harrach
Date: Jan 9, 2010
Views: 1386

Politiker wollen offenbar, dass die Bürger genauso viel über die gebräuchlichen Drogen wissen wie sie selbst: nämlich nichts. Anders lässt sich kaum erklären, weshalb das Drugchecking verhindert wird. Ein Artikel von Tibor Harrach.


Für Gebraucher illegalisierter Rausch- bzw. Genussmittel, also
»Drogen«, ergibt sich ein erhebliches gesundheitliches Risiko
aus der Tatsache, dass solche Produkte keiner Qualitätskontrolle
unterliegen. Damit verfügen Drogengebraucher über keine
zuverlässigen Informationen über die Art der Inhaltsstoffe und
deren Dosierungen. Dies führt regelmäßig auch zu tragischen
Schadensfällen.

2007 wurden im Raum Leipzig mit Blei gestreckte Hanfprodukte
gehandelt, was zu zahlreichen teils schwersten Bleivergiftungen
unter Hanfgebrauchern geführt hat. Die deutsche Bundesregierung
äußerte erst auf erheblichen öffentlichen Druck zu dieser
Massenintoxikation ihre Einschätzung, dass ein gesonderter
Hinweis auf die zusätzliche Gefährlichkeit von verunreinigtem
Cannabis als Verharmlosung des Konsums von Cannabis an sich
missverstanden werden könne. Und die damalige
Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) ließ verlautbaren,
dass eine geeignete Strategie, die gesundheitlichen Risiken des
Konsums von verunreinigtem Cannabis zu vermeiden, darin bestehe,
auf den Konsum von Cannabis überhaupt zu verzichten.

Das häufigste Streckmittel für Kokainpulver ist nach Angaben des
Drugchecking-Projekts von Streetwork Zürich das wegen seiner
nierenschä­digenden und euphorisierenden Wirkung vom Markt
genommene Schmerzmittel Phenacetin. Zudem finden die Schweizer
Drugchecker derzeit in 50 Prozent der von ihnen untersuchten
Kokainproben das als Mittel gegen Fadenwürmer entwickelte
Levamisol. Kokainpulver werden auch oft mit synthetischen
Lokalanästhetika gestreckt, was zu vielen Todesfällen unter
Spritzdrogen­gebrauchern führt. 1995 hat das
Gerichtsmedizinische Institut der Berliner Charité bei 59 so
genannten Drogentoten in Berlin diese Zusätze als Todesursache
festgestellt.

Fatal wirkt sich auch der schwankende Opiatgehalt im auf dem
Schwarzmarkt gehandelten Heroin aus. Ist er unerwartet hoch,
kommt es zu tödlichen Überdosierungen. Als in Bremen 1997 an
wenigen Tagen fünf Junkies an hochdosiertem Heroin starben,
ermöglichten Politik und Justiz für die Dauer von zehn Tagen die
Untersuchung von Heroin. Damals forderte die Bremer
Gesundheitssenatorin Christine Wischer (SPD) eine
Gesetzesänderung auf Bundesebene, um solche Analysen zu
ermöglichen. Stattdessen hat dann die rot-grüne Bundesregierung
bei einer Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2000
Substanzanalysen in Drogenkonsumräumen (Druckräumen) explizit
untersagt, um klarzustellen, dass solche Einrichtungen nicht der
aktiven Unterstützung des Drogenkonsums dienen.

Bei als Ecstasy gehandelten Tabletten kommt es gelegentlich zu
gesundheitlichen Problemen, weil hochproblematische Substanzen
wie Atropin, Methamphetamin oder das Amphetamin­derivat PMMA zu
Pillen verpresst werden. Bei einem Treffen der Trans European
Drug Informa­tion Group (TEDI) im Juni 2009 in Edinburgh wurde
von den Vertretern der europäischen Drug­checking-Projekte
festgestellt, dass in über 80 Prozent der untersuchten
Ecstasy-Proben der klas­sische Ecstasy-Wirkstoff MDMA gar nicht
enthalten war, sondern m-CCP (meta-Chlorphenylpiparazin), das
synthetisch hergestellte Stoffwechselprodukt der Antidepressiva
Trazodon bzw. Nefazodon. Welche Risiken mit m-CCP als Party­
droge einhergehen, ist weitgehend unerforscht. Konsumenten
berichten von Übelkeit, Atem- und Kreislaufproblemen sowie
unangenehmen psychischen Nachwirkungen. Möglicherweise um der
durch m-CPP bedingten Übelkeit entgegenzuwirken, mischen die
Hersteller einem Teil dieser Pillen die den Brechreiz hemmenden
Arzneistoffe Metoclopramid oder Domperidon bei, die ihrerseits
gefährliche Neben- und Wechselwirkungen auslösen können.

Neben den akuten gesundheitlichen Risiken, die von unerwarteten,
zum Teil hochproblema­tischen Substanzen oder Überdosierungen
ausgehen, behindert das Unwissen über die Zusammensetzung die
Entwicklung eines eigenverantwortlichen Umgangs mit möglichen
Risiken. Denn nur wer weiß, was in welcher Menge in seiner Droge
enthalten ist, kann sein Konsumverhalten entsprechend anpassen
und Risiken gezielt vermeiden. Zudem ermöglicht das Wissen über
die genaue Zusammensetzung der Droge eine bessere Reflexion der
erlebten Drogenwirkungen, und dies ist eine wesentliche
Voraussetzung, um den Drogengebrauch selbständig kontrollieren
zu können.

Dies zu ermöglichen, ist ein wesentliches Ziel von Drugchecking,
der qualitativen und quantitativen Analyse von illegalisierten
Substanzen. In Berlin wurde die Methode 1995 bis 1996 von dem
Verein Eve&Rave in Zusammenarbeit mit dem gerichtsmedizinischen
Institut der Charité vor allem bei Partydrogen erfolgreich
durchgeführt. Da das Projekt vom damaligen Berliner Senat aus
CDU und SPD nicht erwünscht war, wurde es mit Polizeigewalt
beendet: Der Durchsuchung der Vereinsräume folgten zwei Razzien
im gerichtsmedizinischen Institut, Unterlagen wurden
beschlagnahmt und Vereinsmitglieder wegen angeblich illegalem
Besitz von Betäubungsmitteln angeklagt. Allerdings konnte die
Anklage in zwei Instanzen abgewehrt werden. Damit ist die
Legalität des Berliner Drugchecking-Verfahrens gerichtlich
festgestellt.

Trotzdem wurde Drugchecking, mit Ausnahme von Schnelltests mit
begrenzter Aussagekraft, die von einigen Szene-Initiativen
worden, in Deutschland nie wieder aufgenommen, weil die Politik
dies stets zu verhindern wusste. Nach der Bundestagswahl 1998
und der Bildung einer rot-grünen Bundesregierung kam es zwar
bald zu intensiven Gesprächen zwischen Vertretern des zunächst
von den Grünen geführten Gesundheitsministeriums und
Präventionsinitiativen, doch verliefen sie im Sande. Mit der
Übernahme des Ressorts durch die SPD wurden sie ganz beendet.

Im europäischen Ausland hingegen kam es zur Bildung zahlreicher
staatlich geförderter Drugchecking-Projekte: Heute wird in der
Schweiz, in Österreich, Spanien, Belgien, Portugal und in 30
Städten in den Niederlanden Drugchecking durchgeführt. All diese
Europäischen Projekte sind in der TEDI miteinander vernetzt,
unter anderem mit dem Ziel, eine gemeinsame Datenbank von
Analyseergebnissen zum Zweck der Gesundheitsförderung aufzubauen.

Die EU hat eine Studie zu den Wirkungen des Drugcheckings
unterstützt. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit
Forschungsergebnissen aus der Schweiz und Australien:
Drugchecking ist ein effektives Instrument der
Gesundheitsförderung für Drogengebraucher und verführt abstinent
lebende Menschen nicht, Drogen zu kon­sumieren. Letzteres ist
immer noch das absurde Totschlagargument der deutschen
Bundesregierung, wie aus der Beantwortung einer
parlamentarischen Anfrage der Bundestagsfraktion »Die Linke« im
Mai hervorgeht.

Ein anderes Scheinargument der Gegner des Drugcheckings ist,
dass Drugchecking nicht dem Sinn und Zweck des deutschen
Betäubungsmittelgesetzes entspreche, nämlich den Missbrauch von
Betäubungsmitteln zu bekämpfen. Dem stehen allerdings die
Berliner Gerichtsentscheidungen entgegen, und Prof. Cornelius
Nestler, der so etwas wie der Papst des deutschen
Betäubungsmittelrechts ist und der auch einer der Verteidiger im
Verfahren gegen Eve&Rave war, hat dieser Einschätzung auf einer
Berliner Fachtagung im November 2008 widersprochen. Zudem hat
der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in diesem
Jahr eine umfassende Studie zu den rechtlichen Implikationen des
Drugcheckings erstellt, in der mehrere derzeit legal mögliche
Verfahren skizziert wurden.

Gegen die politischen Widerstände auf Bundes- und Landesebene
hat sich in Berlin und Brandenburg eine Initiative aus
Drogenhilfeträgern, Aidshilfe, Szenevereinen und der Politik
(Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bündnis 90/Die Grünen und
»Die Linke«) mit dem Ziel formiert, Drugchecking in Deutschland
wieder einzuführen. Auch in anderen deutschen Städten, wie etwa
in Frankfurt am Main, gibt es solche Bestrebungen.

Das Drugchecking wieder aufzunehmen, hätte für die Berliner
Gerichtsmediziner die ganz konkrete Konsequenz, dass gefährliche
Beimengungen wieder vorbeugend im Stoff aufgespürt werden
könnten und nicht, wie seit der Polizeirazzia 1996, nur noch in
Leichen.

Aus:  Jungle World Nr. 52, 23. Dezember 2009

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Der Autor lehrt als Pharmazeut an der Freien Universität Berlin,
ist Vorstand von Eve&Rave Berlin und Mitarbeiter der
Drugchecking-Initiative Berlin-Brandenburg. Weitere Infos zum
Thema: 


http://www.drugchecking.eu

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